Alles neu macht die CO2-Bilanzierung – wie sollen wir die Betriebe nachhaltiger gestalten, wenn wir nicht wissen, was sie an CO2 emittieren? Dies ist eine Herausforderung, vor der auch die Kreativwirtschaft und somit wir in der darstellenden Kunst stehen. In diesem Beitrag nehmen wir die bürokratischen Hebel in die Hand und stellen den aktuellen Stand der Dinge in Punkto CO2-Bilanzierung in den Blick.
Am 21. Mai 2021 wurde mit einem Kabinettsbeschluss die Anpassung des Klimaschutzgesetzes festgelegt, die die jährlichen Minderungsziele pro Sektor für die Zeiträume 2023 bis 2030 und 2031 bis 2040 definiert. Grundlegend setzt das Einhalten von Minderungszielen voraus, dass Unternehmen ihre CO2-Emissionen ermitteln und in Berichte erfassen, um daraus ihre Minderungspotenziale abzuleiten und umzusetzen. Die Interpretation der Daten erfolgt durch einen Abgleich an Standardvergleichswerten.
Seit 1997 wurde mit dem Greenhouse Gas Protocol (GHG) eine Standardreihe zur Bilanzierung von Treibhausemissionen entwickelt, welche die im Kyoto-Protokoll regulierten Gase als Betrachtungsgrundlage nutzt und deren Verfahren seit den Mitte 2000er Jahren international vermehrt zur ökologischen Bilanzierung von Unternehmen und öffentlichen Einrichtungen angewendet werden.
2023 wurde mit dem CSRD – Corporate Sustainability Report Directive – die Reportpflicht für große Unternehmen – definiert nach Belegschaftsgröße und Jahresgewinn- bzw. umsatzbilanz – in Deutschland eingeführt. Die CSRD basiert dabei auf das GHG Protocol. Die Erweiterung der Reportpflicht für kleinere Unternehmen in den kommenden zwei Jahren ist somit absehbar.
Um Bilanzierungsparameter spezifisch für den Kultursektor zu definieren, wurden auf eine Reihe an Ermittlungsprogrammen Bundesgesteuert durchgeführt. Die Klimabilanzierung in Kulturinstitutionen der Kulturstiftung des Bundes begleitete 19 unterschiedliche Kulturinstitutionen bei der Erfassung und Auswertung von Emissionsquellen im Betriebsalltag im Jahre 2019. Der Corporate Standard des GHG Protocol bildete hierfür die Grundlage. Mit Vorlage der Daten konnte im Jahr 2021 ein auf die deutsche Kulturlandschaft zugeschnittener CO2-Rechner in die Entwicklung gehen, der sich an existierenden Rechner wie z.B. der ökologisch nachhaltigen Unternehmensberatung Julie´s Bicycle aus Großbritannien orientiert. Mit der Entwicklung betraut wurde das 2021 vom Bund ins Leben gerufene und geförderte Aktionsnetzwerk Nachhaltigkeit für Kultur und Medien, das darüber hinaus auch eine erste IHK zertifizierte Weiterbildung zu Transformationsmanager:innen anbietet. Nach Testreihen und Veröffentlichungen wurden die Ergebnisse 2023 von einer Gruppe Expert:innen aus Kulturverbänden, Institutionen, Ämtern und Kommunen ausgewertet und ein erster CO2-Kulturstandard unter Berücksichtigung des GHG Protocol ermittelt. Dies erfolgte in Kooperation mit dem Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst Land Baden-Württemberg und Unterstützung der KlimaAktiv gGmbH.
Am 11. Oktober 2023 wurde in einem Spitzengespräch der Staatsministerin für Kultur und Medien, der Kulturministerinnen und -minister sowie Kultursenator:innen der Länder und von den Kommunalen Spitzenverbände der CO2-Bilanzierungsstandard samt CO2-Rechner verabschiedet. Der CO2-Rechner erschien als kostenloses Excel-basiertes Tool, das es Einrichtungen vereinfachen soll, eigene ermittelte Werte in Abgleich mit dem deutschen Standard zu stellen. Die Nutzung ist je nach wirtschaftlicher Einstufung des Unternehmens verpflichtend oder freiwillig.
Die Standardermittlung unterteilt sich in drei Kategorien: KBK, KBK+ und Beyond Carbon. Der Bereich KBK beinhaltet alle verpflichtend zu ermittelnden Parameter der Scope 1, der selbst im Betrieb direkt erzeugten CO2-Emissionen, und Scope 2, den indirekt vom Betrieb erzeugten Emissionen, die auf den eingespeisten Strom, Wärme, Kälte, Dämpfe zurückzuführen sind. Der Bereich KBK+ steht optional zur Verfügung und umfasst den Scope 3. Hier handelt es sich um an das Unternehmen geknüpfte Emissionen, die nur indirekt vom Betrieb steuerbar sind und deren Ermittlung für das Unternehmen zusätzlichen Aufwand erfordern. Als Beispiel ist die Publikumsmobilität zu nennen. Im KBK+ können einzelne Parameter zusätzlich zur Betrachtung ausgewählt werden. Der dritte Bereich Beyond Carbon befasst sich mit CO2-Äquivalenten, das heißt mit Ressourcenverbrauch und Abgasen, die nicht per se CO2 emittieren, trotzdem auf die Klimaerwärmung einwirken. Beispielhaft ist der Wasserverbrauch von Einrichtungen. Auch dieser Bereich kann optional und anteilig ausgefüllt werden.
Am 21. und 24. November 2023 stellte das Aktionsnetzwerk Nachhaltigkeit in Kooperation mit der KlimaAktiv gGmbH und dem Land Baden-Württemberg den KBK-Standard der Kultur-Öffentlichkeit in zwei Online-Präsentationen vor. Einige unserer Netzwerker:innen nahmen dort Fragen und Kritiken am Standard auf und besprachen diese in unserem monatlichen Panel. Insgesamt wird die Einführung eines vergleichenden Standards für den Kulturbereich und die damit verbundene Orientierungshilfe zur Erfassung von Emissionsquellen in Betrieben als Meilenstein und Erfolg begrüßt. Als größter Kritikpunkt wurde die reine Anwendbarkeit auf Institutionen und Einrichtungen ermittelt. Die Freie Szene, deren Akteur:innen meist keinen festen (Aufführungs-)Standort besitzen und sich einen projektbezogenen CO2-Rechner und Vergleichswerte wünschen, profitieren aktuell nicht von den Ergebnissen und dem Tool. Das Umweltbundesamt hat mit dem UBA CO2-Rechner für Veranstaltungen einen ersten Aufschlag gemacht, bei dem aber die Erfassung der für den darstellenden Bereich relevanten Bereiche Material und Abfall nur in einer kostenpflichtigen Ausführung zugänglich ist. Wer sich nichtsdestotrotz dafür interessiert, kann diese Vollversion aber 14 Tage kostenlos ohne Übergang in einen Vertrag ausprobieren.
Auch der Ausschluss der Publikumsmobilität aus der verpflichtenden Bilanzierung wurde kritisiert. So erwies sich gerade diese Emissionsquelle bei den vorherigen Pilot-Bilanzierungen der Kulturstiftung des Bundes als besonders gewichtig für den CO2-Fußabdruck der standortgebundenen Aufführungs- und Ausstellungseinrichtungen und erfordert innovative Konzepte zur Emissionsminderung. Natürlich ist der Aufwand zur Erhebung dieser Daten nicht unerheblich und verlangt zusätzliche Leistung und Investitionen ab. Aber es ist ein offenes Geheimnis, dass nachhaltige Veränderungen Anschubhilfen brauchen und sich dann in der Zukunft auszahlen würden. Und bliebe der Bereich der Publikumsmobilität optional verhandelbar, decke sich dies leider mit dem Kurs der aktuellen Bundesregierung, die die Aufweichung der Minderungsziele des Klimaschutzgesetzes für die Bereiche Verkehr und Gebäudesanierung anstrebt, da deren Ziele in den Jahren 2021 und 2022 schon verfehlt und somit als Mehrlast 2023 mitgenommen wurden. Das Bundesverfassungsgericht verurteilte am 30. November 2023 darauf die Bundesregierung zu Sofort-Programmen – die Regierung ging in Revision, Ergebnis: offen.
Aber wahrscheinlich ist hier einfach Geduld gefragt: die Organisator:innen hinter dem KBK kündigten regelmäßige Aktualisierungen an. Es bedarf wohl noch die Entwicklung weiterer Tools, die es der Breite der Kulturbetriebe einfach ermöglicht, externe Informationen zu sammeln, um Emissionsquellen wie die Publikumsmobilität als Pflichtangabe im Jahresreport anzugeben.
Auch das Tool selbst müsste sich entwickeln: als Excel Tabelle ausgegeben verlange es von den Reportbeauftragten manuelle Eingaben und Übertragungen bei der Vorlage von Standardupdates. Die Städte Dresden und Leipzig entwickeln seit 2023 gemeinsam einen webbasierten CO2-Rechner, der zukünftig automatisiert eingegebene Werte zu den geltenden Standardwerten beurteilt. Die kommunalen Vertreterinnen dieses Projekts – Juliane Monschell und Andrea Henzel – gehörten dabei ebenfalls zur Arbeitsgruppe des KBK. Solch ein webbasiertes Tool auf bundesweiter Ebene würden wir als Netzwerk sehr begrüßen.
Wir halten fest: die Ermittlung der Emissionen ist auch in der Breite der deutschen Unternehmen angekommen. Der Bedarf nach Kennzahlen und zugeschnittener Parameter für den Kulturbereich wurde politisch erkannt und angegangen. Auch dem Kultursektors wird es mit dem KBK-Standard möglich, der CSRD-Reportpflicht mit zutreffenden Rubriken zu Emissionsquellen nachzugehen. Die Freie Szene muss sich hierbei noch in Geduld üben, bis sie passende CO2-Rechner erschwinglich bzw. kostenfrei nutzen kann – jedoch dürfte sie gleichzeitig auch weitestgehend noch nicht von der Reportpflicht betroffen sein. Um die tatsächlich großen CO2-Emissions-Impacts anzugehen, muss beim KBK noch nachgearbeitet und niederschwellige Ermittlungsverfahren zur Verfügung stellt werden. Doch es ist auf einem guten Weg. Und schließlich zählt, aus den ermittelten Zahlen auch nachhaltige Entscheidungen und Handlungen umzusetzen.